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Das 99-US-Dollar-Nexus oder warum Google in der Zwickmühle steckt

Das Nexus 7 ist seit wenigen Monaten im Handel erhältlich und erst wenige Wochen auch bei uns in Deutschland. Dennoch ist das Tablet bereits jetzt eines der bestverkauften Tablets überhaupt, auch wenn Zahlenmäßig noch weit entfernt vom Erfolg eines iPad aus dem Hause Apple. Das scheint Google nur anzuspornen, denn die Gerüchte um eine noch preiswertere Variante reißen einfach nicht ab.

Ende letzten Monats sind die ersten Gerüchte eines 99-Dollar-Nexus-7 aufgetaucht, welche allerdings von ASUS, dem Hersteller des Nexus 7 dementiert wurden. Klar, kein Unternehmen lässt sich gerne vorab in die Karten schauen, denn dann wäre ja der Überraschungseffekt für die Konkurrenz weg. Auch wenn das Nexus 7 mit 199 US Dollar respektive 199 Euro in der 8 GB Ausstattung preislich mit dem (ersten) Kindle Fire gleichzog, war man technisch dem Konkurrenten um Welten voraus. Ein Grund, warum das Nexus 7 zum bestverkauften Android-Tablet avancierte. Zumindest der britische Händler The Carphone Warehouse ist dieser Meinung. Und auf die 3G Version werden wir uns wohl auch bald freuen können.

Glaubt man dem Branchenportal DigiTimes, dürfte Google damit allerdings sein Pulver für dieses Jahr noch nicht verschossen haben. Laut dem eher mäßig-erfolgreichem Medium in Sachen zutreffender Gerüchte stehen bereits zwei Zulieferer wichtiger und preisentscheidender Bauteile und der Fabrikant fest, sowie mit welchen Mitteln der absolute Kampfpreis von 99 US Dollar erreicht werden soll. Zusammengeschraubt wird das Billig-Tablet vermutlich beim größten ODM-Fertiger für Notebooks Quanta (produzieren unter anderem das Blackberry PlayBook und die OLPC-Modelle XO-1 und XO-1.5), das Display wird von HannStar beigesteuert und der SoC kommt von WonderMedia.

 

Gratwanderung zwischen Richtig und Falsch

Und genau hier könnte der Grund liegen, weshalb DigiTimes, wie so oft in der Vergangenheit, falsch liegt, auch wenn es nach recht handfesten Beweisen aussieht. Denn der spekulierte Chip von WonderMedia dürfte der WonderMedia PRIZM 8950 sein, ein ARM Cortex A9 Singlecore mit 800 MHz und einer Mali 400 als Grafikchip. Diese Art von SoC kommt überwiegend in Tablets aus China der unteren Preisbereiche zum Einsatz und soll in seiner Leistung wohl recht ähnlich zum hinlänglich bekannten Allwinner A10 sein. Zwar liefern diese Chips keine allzu schlechte Leistung ab wie unsere Tests zwei entsprechender Tablets zeigten, dennoch kommt es hin und wieder zu einer etwas ungenügenden Performance. Zumal diese Chips nur bedingt mit hochauflösenden Displays jenseits der 800 x 480 Pixel zurechtkommen, wenn man keine optimierte Custom ROM nutzt. Gerade wenn es um das Thema Spiele geht, ist die Performance trotz teilweise zwei- oder vierkerniger Versionen des Mali 400 ungenügend bis grausig.

Mit dem Nexus 7 hat Google nicht nur die Latte in Sachen Verarbeitungsqualität im Bereich von 200 bis 250 US Dollar hoch angesetzt, auch in der Leistung dieser Klasse hat Google bzw. ASUS gezeigt, wo der Hammer hängt. Und genau das ist die größte Gefahr eines 99-Dollar-Tablets innerhalb der Nexus-Reihe: Der Kunde erwartet Qualität und Leistung. Zwar sind auch chinesische Tablets mit chinesischen Chips alles andere schlecht (zumindest seit der Allwinner-A10-Ära) aber das Nexus 7 wird immer als Vergleichsobjekt herhalten müssen. Überhaupt hat die Nexus-Reihe einen allgemein sehr guten Ruf und mit einem derart günstigen wenn nicht sogar billigen Tablet würde sich Google genau diesen Ruf wohl kaputt machen. Zumal das Nexus 7 laut Google von Beginn an ein Verlustgeschäft sei, zumindest bei der kleinen Version mit 8 GB. Bei der Billig-Ausgabe würde es nicht anders aussehen, wenn nicht sogar noch schlimmer. Ein Ausgleich durch vermehrten Verkauf von Inhalten wie Apps, Spiele oder Filme darf bei diesem Tablet stark bezweifelt werden.

 

Im Strudel der Konkurrenz

Warum sollte Google also zu billigsten Komponenten greifen, wenn doch Texas Instruments oder Qualcomm ebenfalls günstige Chips im Angebot haben? Zum Beispiel der MSM8227 von Qualcomm, welcher seinen Dienst im kommenden HTC 8S verrichtet oder der anstehende Refresh des Snapdragon S4 Play. Oder der OMAP4470, der das Kindle Fire HD für 159 US Dollar von Amazon antreibt. Selbst der Tegra2 von NVIDIA dürfte mittlerweile ziemlich billig zu haben sein. Es wäre andererseits schon ein großes Kunststück von Google, sollte der Konzern ein annähernd ähnlich gut ausgestattetes Tablet für 99 US Dollar auf den Markt bringen können. Erst Recht wenn man das Nexus 7 für 199 US Dollar zum Vergleich heranzieht, immerhin steckt da bereits der günstigste Tegra3 drin, den NVIDIA im derzeitigen Portfolio hat.

Es ist zudem sehr unwahrscheinlich, dass Google nicht den Ruf der Nexus-Marke beschädigen würde, wenn der Konzern ein derartig billiges Tablet in sein Angebot aufnimmt. Andererseits fordert der harte Wettbewerb mit Amazon, Barnes & Noble und Co. seinen Tribut. Der Kampf um den Niedrigpreissektor, auch Abwärts-Wettlauf genannt, ist definitiv im Gange und Google hat die Herausforderung schon längst angenommen. Bester Beweis dafür ist das Nexus 7 höchst selbst, welches gute Hardware zu einem niedrigen Preis bietet. Zwar kam das Nexus 7 sehr viel später als Amazons erstes Kindle Fire auf den Markt, dennoch hat der Internetkonzern aus Mountain View den Preis von 199 US Dollar aufgegriffen. Nur hat Amazon bereits wieder vorgelegt mit aktualisierter Hardware und einem noch niedrigeren Preis von 159 US Dollar. Die Gerüchte um das kommende iPad Mini dürften da für zusätzliches Kopfzerbrechen bei den Verantwortlichen sorgen.

 

Kein Sieger auf weiter Flur

Wie man es auch dreht und wendet aber Google befindet sich mehr denn je am Scheideweg, was die Zukunft der Nexus-Reihe betrifft. Entweder überlässt der Konzern der Konkurrenz um Amazon und Barnes & Noble das Feld der billigen Tablets, oder er nimmt einen möglicherweise herben Image-Verlust für die Nexus-Marke bewusst in Kauf und zieht mit einem billigen Nexus-Tablet nach. Etwas Ähnliches war bei den Netbooks zu beobachten. Als ASUS den Mini-Rechner Eee PC 701 auf den Markt brachte, trat der Konzern damit einen regelrechten Boom los. Besonders eine Sache machte den Netbook-Herstellern damals zu schaffen: Während die Verkäufe der Netbooks geradezu explodierten und diverse Analysten einen sehr hohen Marktanteil für Netbooks voraus sagten, gingen gleichzeitig die Absatzzahlen klassischer Notebooks zurück. Denn womit verdient ein Hersteller mehr: Billige Netbooks ohne großartige Gewinnspanne oder hochwertige Notebooks mit hoher Gewinnspanne?

Mittlerweile hat sich der Netbook-Hype im Sande verlaufen, was vor allem auf die niedrige Leistung der Atom-Plattform in Kombination mit einem kleinen Display zurück zu führen ist. Viele weniger belesene Käufer dachten sich, dass ein Netbook das klobige Notebook ersetzen könnte und das bei derselben Leistung. Die Enttäuschung kam dann spätestens ein paar Tage nach Inbetriebnahme des Netbooks, wenn die heiß geliebten Programme oder Spiele nicht funktionierten oder einfach nur unbedienbar wurden (man installiere nur mal PhotoShop auf einem Atom N470 mit 1 GB RAM). Eben jenes Schicksal könnte Google bevorstehen, sollte das 99-Dollar-Tablet unter dem Nexus-Label kommen: Enttäuschung bei den Kunden und Kannibalisierung der höherpreisigen Modelle mit nachfolgendem Kundenschwund bei der nächsten Tablet-Generation (Ein gebranntes Kind…).

 

Eine Richtung bleibt offen

Dennoch wird Google über kurz oder lang ein neues Nexus-Tablet auf den Markt bringen, dass geht bereits wieder in der Gerüchteküche umher. Erst gestern hatten wir die nächsten Infos, dass ein Nexus 10 auf dem Weg sein könnte. Zwar können EXIF-Daten von Bildern manipuliert werden aber das ist nicht der einzige Hinweis auf ein derartiges Tablet bisher. Manche unserer Kollegen der größeren (englisch-sprachigen) Android-Portale werten regelmäßig die angefallenen Serverlogs aus, so auch AndroidPolice. Und diese Kollegen wurden tatsächlich fündig: Zwei Geräte unbekannten Namens und mit Android 4.2 besuchten die Website von AndroidPolice. Das eine ist ein Smartphone namens Occam und das andere höchstwahrscheinlich ein Tablet namens Manta.

Besonders das mögliche Tablet passt nur zu perfekt ins Schema, da ausnahmsloses jedes Nexus-Modell, egal ob Smartphone oder Tablet, GSM- oder CDMA-Version, ein Meerestier als Codenamen hatte. Außerdem halten sich nach wie vor hartnäckig Gerüchte, dass Samsung nach zwei Nexus-Smartphones mit einem Nexus-Tablet aufwarten könnte. Die Gerüchte zu einem 10″ Nexus-Tablet kamen übrigens bereits kurz nach Präsentation des Nexus 7 auf. Während das 99-Dollar-Tablet nur eine Mutmaßung von DigiTimes ist, sind die Beweise für das Galaxy Tab mit Über-Auflösung deutlich handfester. Das Tablet tauchte auf einer in einem Gerichtsverfahren veröffentlichten Roadmap mit ersten Hardware-Details auf. Insgesamt betrachtet, sprechen die einzelnen Puzzleteile des Galaxy Tab mit Retina-Display sehr für ein Nexus-Tablet, zumal jedes bisherige Nexus in irgendeiner Weise ein technischer Vorreiter gewesen ist.

  • HTC Nexus One: Android 2.1 Eclair, Pures Android, sehr schnelle Updates
  • Samsung Nexus S: Android 2.3 Gingerbread, NFC, 3-Achsen-Gyroskop, konkaves Displayglas
  • Samsung Galaxy Nexus: Android 4.0 Ice Cream Sandwich, 720p-Display, Software-Tasten zur Bedienung
  • ASUS Nexus 7: Android 4.1.1 Jelly Bean, Premium-Hardware und -Verarbeitung im Niedrigpreissegment

Fazit

Halten wir also fest: Ein 99-Dollar-Nexus-Tablet ist sehr unwahrscheinlich aber nicht unmöglich. Das es technisch machbar ist zeigen chinesische Firmen oft genug, meistens allerdings zu Lasten der Displayauflösung und/oder allgemeinen Systemleistung. Insofern ist es Google nicht zu raten, das Wagnis eines Image-Verlustes für die Nexus-Marke einzugehen. Denn bei der spekulierten Hardware ist angesprochener Image-Verlust nahezu sicher. Google täte also gut daran sich nicht weiter in tiefere Preisgefilde zu begeben, es sei denn es können Kosten bei der Herstellung und bei den Einkaufspreisen bestehender Bauteile gesenkt werden. Wohin die Reise gehen wird, dürften wir vermutlich am 29. Oktober sehen, wenn Google sein nächstes Android-Event abhält.

Aber letzten Endes entscheidet immer noch der Kunde und dieser will Qualität und Leistung. Übrigens würde Google mit einem 99-Dollar-Nexus selbst gegen seine eigenen auferlegten Nexus-Richtlinien verstoßen: Ein Nexus-Gerät muss mindestens 2 Android-Hauptversionen mitmachen (Danke an Artus Elias für den Hinweis). Bei der spekulierten Hardware eher geträumtes Wunschdenken denn machbare Realität, ohne größere Einschnitte im Funktionsumfang.

 

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Stefan

Mann mit Bart und Faible für Smartphones und Tablets jeder Plattform, doch eindeutig bekennender Androidliebhaber.

2 Gedanken zu „Das 99-US-Dollar-Nexus oder warum Google in der Zwickmühle steckt

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